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Die grösste Kunst in der Unternehmensentwicklung

  • Autorenbild: Daniel H. J. Kern
    Daniel H. J. Kern
  • 19. Aug.
  • 2 Min. Lesezeit

Die Kunst, Situationen statt Menschen zu beurteilen

In Organisationen sind wir es gewohnt, schnell Erklärungen zu finden. Wenn etwas nicht läuft, fällt der Blick reflexartig auf „die Menschen“:„Er ist nicht belastbar.“ – „Sie ist nicht durchsetzungsfähig.“ – „Das Team ist zu langsam.“


Doch dieser Fokus verengt die Perspektive und verschleiert die eigentlichen Dynamiken. Aus wirtschaftspsychologischer Sicht ist es weitaus hilfreicher, die Situation als primäres Analyseobjekt zu betrachten. Menschen handeln nicht im Vakuum – sie sind eingebettet in Strukturen, Prozesse, Erwartungen und Rahmenbedingungen.


1. Attributionstendenzen: Warum wir Menschen vorschnell bewerten

Die Sozialpsychologie beschreibt mit dem Fundamentalen Attributionsfehler, dass wir Verhalten oft auf Persönlichkeitsmerkmale zurückführen, anstatt situative Faktoren zu berücksichtigen. Beispiel: Kommt ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin unvorbereitet ins Meeting, neigen wir dazu, „Nachlässigkeit“ oder „Desinteresse“ zu diagnostizieren. Doch vielleicht lag die Ursache in einer Überlastung durch parallele Projekte oder unklaren Prioritäten.


Führungskräfte und Beratende müssen sich dieser Verzerrung bewusst sein: Es ist verführerisch, Personen als „Problemträger“ zu sehen – aber es verstellt den Blick auf das eigentliche System.


2. Der systemische Blick: Organisation als Wirkgefüge

Systemische Organisationsentwicklung betont, dass Symptome auf der Ebene der Menschen Ausdruck von Mustern im System sind.


  • Kommunikationsabbrüche deuten oft auf widersprüchliche Ziele oder fehlende Schnittstellen hin.

  • Widerstand gegen Veränderungen verweist häufig auf fehlende psychologische Sicherheit oder unklare Nutzenversprechen.

  • Leistungsschwächen sind nicht selten das Resultat von Rollenunklarheit oder widersprüchlichen Erwartungen.


Wer hier vorschnell an den Individuen „arbeitet“, läuft Gefahr, Symptome zu behandeln, aber nicht die Ursachen.


3. Ressourcenorientierung statt Defizitfokus

Wirtschaftspsychologisch sinnvoll ist, die Diskussion über Menschen zu übersetzen in eine Diskussion über Ressourcen:


  • Welche Fähigkeiten, welches Wissen und welche Haltung braucht die Situation?

  • Sind diese Ressourcen im Team bereits vorhanden oder müssen sie entwickelt/ergänzt werden?

  • Wo gibt es Überlastung, Unterforderung oder ungenutzte Stärken?


Dadurch verschiebt sich der Fokus von „wer ist falsch?“ hin zu „was braucht es, damit das System funktioniert?“.


4. Psychologische Sicherheit als Schlüsselbedingung

Ein zentrales Konzept aus der modernen Führungsforschung ist die Psychological Safety (Amy Edmondson). Nur in einem Klima, in dem Menschen frei von Angst vor Schuldzuweisung agieren können, sind sie bereit, Probleme offen anzusprechen und Ideen einzubringen.Die Trennung von „Situationsanalyse“ und „Personenbewertung“ trägt entscheidend dazu bei, psychologische Sicherheit zu schaffen: Es signalisiert, dass es um Verbesserung der Lage geht, nicht um Schuld oder Verurteilung.


5. Praktische Leitfragen für die Situationsanalyse

Ein Coach oder Führungskraft kann die Analyse auf folgende Ebenen lenken:


  • Strukturell: Sind Rollen, Prozesse und Verantwortlichkeiten klar definiert?

  • Kulturell: Welche unausgesprochenen Regeln und Annahmen beeinflussen das Verhalten?

  • Ressourcenbezogen: Stimmen Kompetenzen, Zeitbudgets und Tools mit den Anforderungen überein?

  • Emotional: Wie erleben die Beteiligten die Situation? Wo entstehen Frustration, Unsicherheit oder Motivationsverluste?


Diese Fragen führen zu einem ganzheitlichen Bild, das es erlaubt, Veränderungen einzuleiten, ohne Menschen vorschnell zu verurteilen.


Fazit: Von Schuld zu Lösung

Die Fähigkeit, zwischen Person und Situation zu unterscheiden, ist mehr als eine methodische Technik – es ist eine Haltung. Sie erfordert Achtsamkeit, Demut und die Bereitschaft, komplexe Systeme wirklich zu verstehen.


Statt Schuldige zu suchen, erkennen wir so, was die Situation von uns verlangt – und welche Ressourcen es braucht, damit Menschen in ihr erfolgreich handeln können. Das Ergebnis: mehr Klarheit, weniger Abwehr, und letztlich tragfähigere Lösungen für die Organisation.


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